„CROMAGNON"
Herbert Langmüller, Fotoarbeiten

4. Juni - 27. Juni 1998, 1040 Wien, Atelier-Galerie 3A ,
Eröffnungsrede: Mittwoch, 3. Juni 1998, Dr. Günther BERGER


Die Exponate der heute in dieser semikryptoralen Ateliergalerie „3A" zu eröffnenden Ausstellung führen uns noch tiefer als die Erdbewegungen des am vorigen Donnerstag, 28.5.1998 der Benützung übergebenen neugestalteten Mittersteigs. Sie führen uns aber auch weg von Wieden nach Niederösterreich, in die Wachau, in das Grabendorf Willendorf tausende Jahre zurück.
In Willendorf tauchten bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts beim Abbau von Ziegeleien prähistorische Funde auf. Die damals gefundenen paläolithischen Steinwerkzeuge wurden jedoch nicht in Vitrinen aufbewahrt, sondern als Feuerstein und Feuerzeugaccessoires verkauft.
Anläßlich des Baues der Kaiser Franz Joseph-Bahn (1907) wurde in den diluvialen Lößablagerungen des 625 m hohen Nußberges zwischen Willendorf und der kleinen Bachbrücke donauabwärts Richtung Schwallenbach (Bahnkilometer 22,1 - 23,3) steinzeitliche Siedlungsschichten angegraben.
Insgesamt unterscheidet man neun Kulturschichten bzw. Fundhorizonte, die Stein-, Knochen-, Geweih- und Elfenbeingeräte, Feuerstellen, Stein-, Aschen- und Graphitlagen sowie Knochen eiszeitlicher Tiere enthielten.
Was verleitet einen geborenen und überzeugten Simmeringer, der nicht ohne Wehmut das fast schon restlos verschwundene alte Simmering in Photos dokumentiert hat, dazu, sich für jene wohlbeleibte Dame aus dem Paläolithikum zu interessieren ?
Ist sie jene Dame, der der aus dem Bezirk des Neugebäudes, des Schlosses von Kaiserebersdorf, der Laurentiuskirche und des Zentralfriedhofes stammende Simmeringer Photograph seine Taten widmen möchte wie Ulrich von Liechtenstein seinerzeit Frau Venus ?
Ist es das sich von den Schöpfungen Giorgiones, Tizians und Manets differenzierende Körper- ideal ?
In Simmering liegen nicht nur awarenzeitliche Gräberfelder, sondern auch der älteste noch in Funktion befindliche Friedhof Wiens. Die Verkehrsflächenbezeichnung der Leberstraße erinnert an prähistorische Grabhügel. Der Simmeringer Boden, mit seinen steil zur Donau abfallenden, die Verwesung begünstigenden Lößterrassen wurde vom Geologen Sueß als geeignetster Ort für die mit gründerzeitlicher Großzügigkeit angelegte „Stadt der Toten" empfohlen.
Es erscheint daher kein Zufall, daß jemand dessen - jetzt übrigens schaugestelltes - Geburtsbett in der Simmeringer Heide stand eine Neigung für Archäologie entwickelt. Hinzu kommt bei Herbert Langmüller noch eine Faszination für Steine, die ein Hauptsujet seiner Photoarbeiten darstellen (wie bereits hier in der Ateliergalerie „3A" 1994 exponiert) und mit denen er sein selbstinszeniertes Domizil schmückt. Steine führen ihn seit 1975 aber auch nach Nordafrika und in den Vorderen Orient, auf die Halbinsel Sinai etwa, wo der Belgier Jean Veramen 1980 glücklicherweise nicht irreparabel Felsen bemalte und auch nach Marokko, wo es sonst nur im Jemen existente Wohnburgen (Kasba) gibt, die fast so rot sind wie derzeit unsere von Markus Geiger bemalte Secession.
Ein drittes Photosujet Herbert Langmüllers stellen Frauenakte dar, ein viertes (überholte) politische Plakate.
Mit der Venus von Willendorf, die 1978 ein schematisiert-plumpes Denkmal nahe ihres Fundortes bekam, beschäftigte sich Herbert Langmüller schon bei der Milleniumsausstellung 1996 in Mödling. Wenn es nun eine Photosequenz einer scheinbar sukzessive freigelegten und anschließend wieder zugeschütteten, zumindest originalgroßen Kopie dieser „magna mater" - deren Original so unerbittlich in einem Tresor des Naturhistorischen Museums verwahrt wird, daß es kaum jemand mehr sah - anfertigte, erinnert das einerseits an die Arbeitsweise heutiger Archäologen - Freilegen und (aus Geldmangel) wieder zuschütten. Was aber gar nicht so schlecht ist, wenn man etwa an Carnuntum denkt, wo die freigelegten Mauern nicht wissenschaftlich aufgenommen und anschließend wieder dem Schoß der Erde zurückgegeben, sondern mit Beton verbunden wurden. Wodurch nur die Fragwürdigkeit des sogenannten Fortschrittes konserviert wurde und den nunmehrigen Archäologen zusätzliche Erhaltungsprobleme erwuchsen.
Herbert Langmüller erinnert aber auch an die Entdeckungsgeschichte dieser oolitischen Kalksteinstatuette, die gleichsam spöttisch nach der mit Aphrodite, der griechischen Göttin der Liebe gleichgesetzten altitalischen Gartengöttin, deren Kult aus Ardea in Latium nach Rom gelangt war, benannt wurde. Als „Venus Cloacina" wurde sie in einem Heiligtum am Cloacina-maxima Forum verehrt, ehe sie am Ende des dritten vorchristlichen Säkulums als Aphrodite einen Tempel am Capitol erhielt. Die Julier verehrten sie als Mutter von Aeneas. Gaius Julius Caesar ließ der Venus Gentrix 46 vor Chr. einen Tempel erbauen, während Augustus ihr als Gefährtin des Kriegsgottes einen Tempel widmete.
In der Wachau kam es nicht nur zu einem Gelehrtenstreit um Prioritätsansprüche, sondern es fehlten auch Kompetenzregelungen und genauere Aufzeichnungen der Fundumstände. Publikationen erschienen erst lange nachdem alle Beteiligten verstorben waren. Josef Szombathy, Josef Bayer und Hugo Obermaier stritten, wer von ihnen die wohlbeleibte Dame gefunden, was tatsächlich schwer zu beantworten ist, da alle drei am 7. August 1908 noch friedlich vereint im Dorfwirtshaus (das später nach ihrem Fund benannt wurde) saßen. Der Arbeiter Johann Veran hob die Kalksteinplastik dann in Anwesenheit der drei Wissenschafter und Obermaier vermerkte in seinem Tagebuch:
„Schematisch - degenerierte Figur, die eine hohe, vorbildliche Schule repräsentiert (a’ la Tanagra !), kein Gesicht, nur dick und feminin. Wohlstand, Fruchtbarkeit. Vgl. heutige, faule Jüdinnen. Die Schule, aus welcher das hervorging ... (unleserlich), wenn auch das Stück vielleicht nur banale Gesellenarbeit. Ableger. Sehr exakt - anatom. und künstler. Auffassung und Darstellungsmethode."
Univ.-Lektor Dr.Günther Berger © 1998

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